Herdgeschehen und chronisches Belastungssyndrom |
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Univ.Doz. Dr.med. Otto Bergsmann / Dr. med. Roswitha Bergsmann |
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Definition |
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Definition des Herdes: Nach dem heutigen Kenntnisstand können die folgenden Definitionen des Herdes akzepiert und als Ausgangspunkt therapeutischen Handelns verwendet werden. - Histologisch (G. Kellner): Der Herd, das Störfeld, ist eine subchronische Entzündung um nicht abbaufähige körperfremde oder denaturierte körpereigene Substanzen. Er besteht aus lymphozytär- plasmazellulären Infiltraten und Desaggregation der Grundsubstanz. Die Ausdehenung der Infiltrate und der Desaggregation wechselt unter dem Einfluss von Sekundärbelastungen. - Klinisch (A. Stacher): Der Herd ist eine verborgene Entzündung, die lokal oligosymptomatisch verläuft, aber fähig ist, in mitunter weitentfernten Körpergebieten, Symptome - die Fernstörungen - auszulösen. - Negativ Definition (O. Bergsmann): Nach allen Klinischen Beobachtungen und regulationsmedizinischen Untersuchungen ist der Herd kein spezifischer, ätiologischer, sondern ein unspezifischer, pathogener Faktor und muss daher als Risikofaktor betrachtet werden. Denkmodelle zum Herdgeschehen Die folgende kursorische Aufstellung der Entwicklung der Denkmodelle ist keineswegs vollständig und berücksichtigt nicht Parallelentwicklungen. Sie soll aber zeigen, dass die Definition des Herdes immer der allgemeinmedizinischen Entwicklung und der Erweiterung des medizinischen Kenntnisstandes folgte. - Denkmodell Keimdepot: Pässler 1909, Hunter 1910 - Toxinmodell: Gutzeit u. Parade 1939, Slauck 1950 - Modell Fokalallergie: Altmann 1973, 1978, Raab 1977 - Korrelationspathologisches Modell: Siegmund 1948 - Modell der Neuralpathologie: Speransky 1941 engl. 1950 dtsch. - Denkmodell Störfeld - Irritationszentrum: F. u. W. Hu- neke 1941, Leriche 1930, Gross 1972, Stacher 1968 - Modell Herd - Störfeld - Grundsystem (Matrix): A. Pischinger 1983, H. Heine 1991, G. Kellner 1965, A. Stacher 1968 - Biokybernetisches Denkmodell - Risikofaktor: Bergs- mann u. Bergsmann 1992, Bergsmann u. Perger 1994 - Biophysikalisches Denkmodell: - Ausblick auf ein Informationsmodell: Entwicklung des Herdgeschehens Es erhebt sich nun die Frage wie eine verborgene Entzündung mit relativ geringer Ausdehnung in weit entfernten Körperregionen Symptome auslösen kann. Die Antwort geben das folgende Schema und die Fakten der Regulationsphysiologie. Entwicklung des Herdgeschehens: Der Herd ist eine chronische Entzündung und macht daher wenig lokale Symptome > Er wird daher lange nicht entdeckt > Hat daher lange Wirkdauer > Daher Entwicklung einer chronischen Regulationsstörung = Adaptationssyndrom > Anfangs lokales Adaptationssyndrom > Endzustand allgemeines Adaptationssyndrom, Degeneration und ihre Folgen. Infolge der langanhaltenden Reizung des Organismus können wir die daraus resultierenden klinischen Symptome als chronisches Irritationssyndrom oder besser als Syndrom der chronischen Belastung bezeichnen. Dabei muss betont werden, dass wie noch dargestellt wird, jede chronische Belastung dieses Syndrom entrieren kann. Die Syndrome der chronischen Belastung (SCB) - Ursachen: unspezifische Multiform - Phasen: von Stärke und Dauer der Stressoren bestimmt. - Manifestationen: Geprägt durch Interaktion zufälliger, oft banaler Sekundärstressoren. Daher müssen verschiedenste Krankheitsbilder diesem Oberbegriff zugeordnet werden. Der pathogene Vorgang ist die chronische Regulationsstörung. Regulation und Regulationsstörung Jeder lebende Organismus - vom Einzeller bis zum Menschen - ist ein selbstregulierendes, offenes, schwingendes und energieverzehrendes Netzsystem. Das heisst einerseits, dass es auf jede äussere und innere Zustandsänderung mit adäquater Verstellung biologischer Parameter reagieren muss (Reiz - Reaktionsprinzip) und dass infolge der Vernetzung sich nie ein Parameter alleine ändert. Andererseits ergibt sich daraus, dass es in diesem System keine fix eingestellten Werte geben kann, da alle Werte schwingen. Zum besseren Verständnis zeigt das folgende Schema, ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit, einige Grundprinzipien der Regulation: Prinzipien der Regulation Kreisprinzipien der Regulation und Rückkoppelung zur Stabilisierung Stets wird aus dem Ausgang eines Regelkreises eine Information mit verkehrtem Vorzeichen in den Eingang rückgespeist. Prinzip der Ökonomie Anpassung in kürzester Zeit und mit geringstem Energieverlust. Erhöhung der Leistungsfähigkeit ergibt sich aus dem Prinzip der Ökonomie. Subsysteme der Regelung Gewerbliche, nervale, humorale, hormonelle Regelsysteme. Vernetzung der Systeme Stets werden alle Systeme angesprochen und aufeinander abgestimmt. Hierarchische Ordnung Die hierarchisch - schichtweise Ordnung der Systeme bedingt Filterung der Informationen und Verarbeitung auf der zuständigen Ebene. Schwingungsfähigkeit Der menschliche Organismus ist ein offenes, schwingungsfähiges Netzsystem. Es gibt keine starren Normwerte. Homöostase Anpassung an äussere und innere Dynamik. Da Leben Dynamik und nicht Stase bedeutet, müsste es eigentlich Homöodynamik heissen. Kurzzeitreize folgen dem "vegetativen Dreitakt nach Siedeck". Das heisst, dass sie nach einer geringen initialen negativen Auslenkung (Energiebereitstellung) nach positiv ausgelenkt werden um dann wieder zum Ausgangswert zurückzukehren. Dieses Verhalten wird als Einschwingvorgang bezeichnet, aus dessen Verlauf man auf Veränderungen der Regulationsfähigkeit (Regelgüte) geschlossen werden kann. Langzeitreize lösen Adaptationsvorgänge aus, die dem gleichen Muster wie die Kurzzeitreize, aber mit wesentlicher Verlängerung der Verlaufsphasen, folgen. Die Adaptationsvorgänge wurden u.a. von Selye entdeckt und erforscht. Stadien des Adaptationssyndroms nach Selye - initiale Schockphase - Phase der erhöhten Abwehrbereitschaft - Phase der Resistenzminderung (Erschöpfung) - Phase der Adaptationskrankheit Interagierende Zusatzreize werden analog der aktuellen Abwehrbereitschaft beantwortet. Daraus ergibt sich für das Herdgeschehen, dass durch die Herdbelastung des Organismus sämtliche Regelsysteme (Netzwerk) in ihrer Regelgüte verändert werden, und dass banale oder pathogene Zusatzreize entsprechend den aktuellen Phasen des Syndroms verändert beantwortet werden. Es besteht Fehlregulation. Der Mensch ist abertäglich Millionen von Reizen ausgesetzt, wobei jeder Reiz seiner Bewältigung daher auch lokale oder generelle Dysmetabolie im Sinne eines degenerativen Stoffwechsels bedingt. Die klinischen Folgen werden später gezeigt.
Jede den Organismus treffende Information löst spezifische, für die betreffende Information programmierte Vorgänge aus (z.B. Licht, Schall, Antigene usw.) Daneben werden aber auch obligat unspezifische Regelvorgänge ingang gesetzt, die unabhängig von der Reizqualität nur durch das Reizquantum bestimmt werden und die das ganze regulatorische Netzwerk erfassen können. Für den im Dosis - Wirkungs - Prinzip und nach dem Gesichtspunkt der Spezifität erzogenen Mediziner ist es schwer sich darauf einzustellen, dass das Reizquantum und die Reizdauer mitunter entscheidenden Einfluss auf die Art der Entwicklung einer Regulationsbelastung haben kann. Die Regelsysteme Jede Reizsituation kann auch als Informationsquelle für den Organismus betrachtet werden, wobei im biologischen Bereich Information das Mass für die Abweichung eines Stoffes vom thermischen Gleichgewichtszustand ist. Eine solche Abweichung entsteht durch äussere Energiezufuhr oder wird durch permanente ordnende Einwirkung von aussen erreicht (Popp) Pathologische Veränderungen im Inneren, auch der Herd, geben ihrerseits Informationen an den Gesamt-organismus ab und/oder stören den Fluss der normalen Informationsverarbeitung in den Regelsystemen. Durch einen Reiz (Stress) werden bei ausreichender Stärke und/oder Dauer immer alle geweblichen, humoralen und neuralen Regelsysteme angesprochen. Differenzen entstehen nur durch Reizstärke und Reizdauer. Es ist nicht möglich in dieser kurzen Skizze alle Systeme darzustellen, doch sollen aus Gründen der Praxis die prima vista erfassbaren äusseren Symptome und ihre Regeln gezeigt werden. Klinische Symptome der Projektion Erhöhung von Sensitivität und Reaktivität, Turgor der Haut und Tonus der Muskulatur Jeder Prozess löst in bestimmten, durch die sensomotorische Verschaltung vorgegebenen Körperregionen Dysregulationen aus. Aus der Lage dieser Dysregulationsbezirken kann auf den Sitz des Auslösers geschlossen werden. Die Symptome folgen bestimmten Regeln. Regeln der Projektion: - Lateralitätsregel: Jede Funktionsstörung und jeder pathologische Prozess projiziert in die Körperhälfte in der er liegt. - Regel der Dreifachprojektion: Die projektiven Veränderungen sind in den thorakalen und in den zervikalen Segmenten sowie im Trigeminusbereich nachweisbar, wahrscheinlich auch im lumbosakralen Gebiet, doch fehlen darüber noch systematische Untersuchungen. - Die Metamerieregel: Jedes Organ projiziert primär in die Segmente mit welchem es entsprechend der Metamerie über den segmentalreflektorischen Komplex in funktioneller Beziehung steht. - Die Quadrantenregel: Die vegetativen Symptome breiten sich infolge der quadrantenorientierten Organisation des vegetativen Nervensystems in den entsprechenden Quadranten aus. Dadurch kommt es zur Segmentüberschreitung der Symptome. - Die kinetische Kettenschaltung: Die Projektionssymptome erfassen über die segmental angeschlossenen Myotome die kinetischen Ketten in welche diese Myotome eingebunden sind. Die kinetischen Ketten überschreiten Dematom- und auch Myotomgrenzen wodurch weitreichende Spannungssymptome der Muskulatur entstehen. - Homolaterale Reizausbreitung: Bei längerer Dauer der Reizsituation werden homolateral immer mehr Segmente in die Störung einbezogen. - Seitenkreuzung der Symptome: Im Rahmen der projektiven Muskelspannung entwickeln sich Dysfunktionen des Achsenorgans. Durch Rotationen, Skoliosierung und Kompensationsvorgänge können dabei kontralaterale Symptomstörungen entstehen, die sich aber nicht auf den ursprünglichen Prozess, sondern auf die Achsenstörung beziehen. Die Kenntnis dieser Projektionssymptome erleichtert in der Praxis das diagnostische Screening. Dies gilt auch für die Herdsuche. Ob man mit subtiler Palpation, mit Elektromethoden, Thermomethoden usw. arbeitet, stets sind die herdspezifischen Zeichen über das System der Sensomotorik erfassbar. Dies gilt auch für die Diagnose über Akupunkturpunkte und -meridiane, da diese auch als Bestandteil der Sensomotorik gelten können. Syndrome der chronischen Belastungen Aus den hier kursorisch dargestellten Fakten, zu welchen noch viele weitere Details angeführt werden könnten, ergibt sich als klinische Konsequenz, dass der Herd, wie jede andere Ursache chronischer Regulationsstörungen, als Auslöser eines chronischen Belastungssyndroms zu betrachten ist. Dies konnte durch über 40jährige Untersuchungen und Beobachtungen an Chronischkranken erarbeitet werden. Es muss klar sein, dass alle Formen der chronischen Belastungen mit anderen Stressoren zum gleichen Syndrom führen. Ausschlaggebend ist nur die Dauer der Belastung. Da das Belastungssyndrom primär unspezifisch multiform verläuft, wird die vordergründige Symptomatik, welche die aktuellen Beschwerden des Patienten prägen, von banalen Zusatzstressoren ausgelöst. Klinische Phasen: Subklinische Vorphase: Allgemeine subklinische Symptome wie Befindungsstörungen, geringe muskuläre Verspannungen und vegetative Störungen etc. belasten zwar die Patienten und beeinträchtigen Lebensqualität und Leistungsfähigkeit in geringen Grad, führen aber nur selten zum Arztbesuch. Dysregulatorische Phase: Sie ist charakterisiert durch manifestation der Regulationsstörung in verschiedenen Systemen und Organen, wobei allerdings noch der beherdete diffuse, unklare Zustand dem ihm am nächsten kommenden klinischen Syndrom zugeordnet und entsprechend behandelt wird. Phase des Strukturumbaues (Manifestation der Degeneration) Der Strukturumbau, der schon mit dem Beginn des Syndroms beginnt, übernimmt nun die Führungsrolle. Im Unterschied zu den seropositiven, entzündlichen Rheumaformen sind die biochemischen Befunde meist von sekundär-reaktiven Vorgängen geprägt. Zum Beispiel durch Überlastungssyndrome, Reizergüsse etc. Es bestehen nur selten permanente Schmerzen. Sie treten nur schubweise auf und sind weitgehend unabhängig von den Befunden der bildgebenden Verfahren. Es nehmen die Krankenstandsfrequenz und die Zahl der Kuranträge zu und in Abhängigkeit von Grad und Art der Arbeitsbelastung auch die Anträge auf Frühpensionierung. Regulationstherapeutische Massnahmen haben jetzt nur palliativen Wert, sind aber unter Einbeziehung der sekundären Veränderungen in hohem Masse geeignet Beschwerden und Schmerzen zu minimieren um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und die Lebensqualität erheblich zu verbessern. Finalstadium Es entspricht dem Vollbild der Adaptationskrankheit nach Seyle (1953). Im Vordergrund steht die Dekompensation multipler Funktionen mit allgemeinen Abbauerscheinungen und Abwehrschwäche, allgemeiner Leistungsbeschränkung und Antriebsschwäche, wobei auch hier noch Schwerpukte der Symptomatik festgestellt werden, die durch spezielle, langdauernde Zusatzbelastung bedingt sind. Arbeitsunfähigkeit - Berentung. Die Realität des Herdgeschehens wurde durch Untersuchungen von Perger und Bergsmann bestätigt. In meiner Untersuchung haben wir Patienten mit chronischen Rheumaformen (Belstungssyndromen) unmittelbar nach Aufnahme in das Rehabilitationszentrum einer neuraltherapeutischen Probebehandlung unterzogen bei der alle festgestellten potentiellen Beherdungen mit einem Lokalanästhetikum umflutet werden. Nach den Lehren der Neuraltherapie besteht das richtig/positive Ergebnis im schwinden der Beschwerden unmittelbar nach der Behandlung für mindestens 20 Stunden (Sekundenphänomen nach Huneke). Dabei war klar, dass wir trotz akribischer Untersuchung bei mehrfachbeherdeten Patienten, einige Herde unentdeckt blieben, und dass Patienten im Endstadium regulatorisch nicht mehr ansprechbar waren. Neuraltherapeutische Probebehandlung ohne Begleittherapie: nach 24 Stunden / n = 518
Unter den Nonrespondern waren aber nicht wenige, die im 2. Anlauf ansprachen. Abschliessend muss unbedingt festgehalten werden, dass jeder unspezifische Stressor mit langer Wirkdauer fähig ist, so wie der Herd ein Belastungssyndrom auszulösen, und dass andererseits diese Stressoren obligat mit dem Herdgeschehen interagieren und so deren Syndrome der chronischen Belastung intensivieren können. Bei diesen Risikofaktoren handelt es sich neben den Herden um: - Genetische Defekte - Heilungsdefekte nach internen Krankheiten und Traumen - Arbeitsbelastungen - Umweltbelastungen chemischer und physikalischer Natur - Alimentäre Schäden - Schäden der Darmflora usw. Nach unserer Erfahrung ist die Beachtung des hier angezogenen Aspektes geeignet die Behandlungschancen chronischer Krankeiten erheblich zu verbessern. © IMF |
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Literatur |
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O. Bergsmann, R. Bergsmann, 1992: Projektionssymptome, Facultas Universitätsverlag, Wien O. Bergsmann, F. Perger, 1993: Risikofaktor Herdgeschen, Facultas Universitätsverlag, Wien H. Heine, 1991: Lehrbuch der biologischen Medizin, Hippokrates, Stuttgart F. Perger, 1990: Kompendium der Regulations-Pathologie und -Therapie, Sonntag Verlag, München Weitere Artikel finden Sie bei Publikationen und zusätzliche Informationen bei Grundlagen, Fachliteratur, Fachzeitschriften, Lehrgänge © IMF |