Was ist an der Neuraltherapie alternativ? |
Univ.Doz. Dr.med. Otto Bergsmann |
Was ist an der Neuraltherapie
alternativ? |
Eigentlich könnte diese Frage mit einem schlichten "garnichts, ausser den Kenntnissen und Fertigkeiten der Neuraltherapeuten" abgetan werden. Es gab Zeiten in welchen an Unikliniken und anderen renommierten Spitalsabteilungen neuraltherapeutische Techniken eingesetzt wurden. Ich selbst habe 1949 als Frischpromovierter auf Anordnung eines Universitätsprofessors meine ersten Quaddelreihen bei einem Asthmatiker gesetzt. Wie ich höre, werden auch heute noch Quaddeln angeordnet wenn ein Patient gar zu hartnäckig immer über die gleichen Beschwerden klagt und wie ich damals, stehen auch heute die jungen Ärzte mit der Spritze in der Hand und schauen auf die Nadel (hoffentlich ist es eine 20er, was nicht so sicher ist). Zur Frage der Alternative ist vielleicht auch interessant zu hören, dass das erste Buch mit Titel "Neuraltherapie" 1960 bei Springer, Wien erschienen ist. Der Autor war Priv.Doz. (jetzt Univ.Prof.) Dr.J.Schmid, damals Oberarzt an der Klinik. In der Ärztegesellschaft und auf Kongressen wurden damals Regulationsthemen heiss diskutiert und ein anderer Klinik-Oberarzt (Prof.Siedeck) fand den "vegetativen Dreitakt". Tempora mutantur. Die Entwicklung der Medizin - nicht des Arzttums - war rasant und wir haben heute in der Akutmedizin und Organprothetik Erfolge, die vor 50 Jahren schlicht unglaubwürdig gewesen wären und die Diagnostik geht soweit in die Details, dass in manchen Bereichen auch profunden Kennern schon der Überblick fehlt. Dabei kam der Regulationsgedanke und auch die Neuraltherapie unter die Räder made in USA and made in Germany. Der regulationsmedizinische Lichtblick dieser Zeit - das Postulat des Grundsystems und Grundregulation durch Univ.Prof.Dr.A. Pischinger (Lehrkanzlei f. Histologie und Embryologie) als gemeinsame Basis aller Regelvorgänge und auch aller Techniken der Regulationstherapie - wurde von der Orthodoxie nichteinmal ignoriert. Heute füllt die Matrixforschung (Matrix = Grundsystem) ganze Bibliotheken. Regulationsforschung und Neuraltherapie, wie auch andere ausserklinische Therapieverfahren vegetierten in einer Art medizinischer Subkultur. Nur einige topisch- neuraltherapeutische Techniken fanden Eingang in verschiedene Fächer. Wir Österreicher hatten dabei noch das Glück des toleranten Totschweigens anstatt bedrohlicher Angriffe wie anderswo. Tempora mutantur. Allen positiven Entwicklungen zum Trotz nehmen die chronischen Krankheiten zu, der volkswirtschaftliche Aufwand für Degenerationsleiden hat schon lange die Schmerzgrenze überschritten und die medizintechnische Industrie und die Pharmakonzerne, die ja die eigentlichen Motoren der Entwicklung waren, bieten uns hier keine effektive Hilfe an. Die Trendumkehr war - wie könnte es in Österreich anders sein? - subkutan. Da eine Versicherungsanstalt, die Rehabilitationsärzte nach China schickt und in ihren Rehabilitationszentren und Ambulanzen Akupunktur forciert, dort eine andere die einen Primarius (mich) beauftragt zu untersuchen ob Neuraltherapie in der Rehabilitation wirkungsvoll sei (sie ist), die Ärztekammer bieten Seminare mit Neuraltherapie an, daneben laufen Schulungskurse des Österr. Ges. f. Neuraltherapie - Regulationsforschung, eine internationale Akademie für Ganzheitsmedizin wird gegründet usw. usw. Betrachten wir die verschiedenen Technikgruppen der Neuraltherapie leidenschaftslos in Hinblick auf ihren wissenschaftlichen Hintergrund oder ihre Alternativität: · Die locus dolendi Therapie · Die Segmenttherapie Die wichtigsten Ansatzpunkte sind an der Haut mit Quaddeln (!! intracutan !!) und am Periost (Präperiostale Depots). Das Wirkprinzip ist die horizontale Vernetzung über die segmentalregulatorischen Komplexe. Diese wird seit Head (ca 100 Jahre) erforscht und ist im Verein mit dem Grundsystem nach Pischinger die Basis aller reflektorischen und regulatorischen Vorgänge. Das ist physiologische Lehre - wer hat davon in der Klinik gehört? Die Primitivität der Quaddeltherapie wird oft belächelt - zu Unrecht, denn es geht dabei nicht nur darum exakt intrakutan zu injizieren (die subkutane Infiltration ist einfacher), es geht vor allem um das gewusst wo - also um die Lokalisationsdiagnostik. Physiologisch klares Konzept - nicht alternativ - alternativ ist das Wissen um Zusammenhänge und die Kenntnis der Lokalisation! · Topische Techniken am Bewegungsapparat. Pharmakodynamische Wirksamkeit - zusätzlich Segmentalreflektorik - nicht alternativ! · Intravenöse Applikation. Klare pharmakodynamische Wirkung - nicht alternativ! · Anästhesie von Nervenstämmen und Ganglien. Klare pharmakodynamische und physiologisch begründete Wirkung - nicht alternativ! · Die Störfeldtherapie - das "Sekundenphänomen" Die Umflutung der Störfelder (meist sind mehrere schuldig) entlastet die Regelsysteme und führt zum Abbau von Rückkoppelungsphänomenen. Die Folge ist Minimierung bis Schwinden der Beschwerden. Dieses Phänomen wurde erstmals von Leriche beschrieben und von F. Huneke als "Sekundenphänomen" entdeckt und zum zentralen Anliegen der Neuraltherapie gemacht. Der Wiener Kreis um Pischinger (Fleisch-hacker, Stacher, Kellner, Böhnel, Hopfer, Bergsmann u.a.) objektivierte erstmals die Regelvorgänge bei Auslösung eines Sekundenphänomens mit üblichen klinischen Methoden. Mittlerweile konnte auch im klinisch kontrollierten Grossversuch an Patienten mit degenerativen Rheumaformen durch Umflutung der Störfelder in 52% subjektive Besserung nachgewiesen werden. Nota bene ohne Kombination mit Pharmaka. 22% der Patienten waren beschwerdefrei. Leider kann hier auf dieses faszinierende Thema nicht näher eingegangen werden, aber: klare physiologische, biokybernetische, systemtheoretische und pharmakodynamische Grundlagen, also Schulmedizin mit anderen Methoden - alternativ? Nach Duden (Wörterbuch d. deutschen Sprache) heisst Alternative: Gegenvorschlag, zweite Möglichkeit. Im Klinikjargon wird das Wort abschätzig im Sinne von "ausserklinisch" - "nicht wissenschaftlich" verwendet. Wir haben uns, veranlasst von Zufallsbeobachtungen, jahrzehntelang bemüht die wissenschaftlichen Hintergründe der Neuraltherapie zu erarbeiten und haben dabei nur Phänomene beobachtet, die durch Schulwissen erklärbar waren - mitunter muss man allerdings dieses Schulwissen in Bibliotheken ausgraben. Was ist dann an der Neuraltherapie alternativ? - Siehe oben!
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Literatur |
O.Bergsmann, R.Bergsmann: Einfache Neuraltherapie für die tägliche Praxis", Facultas Universitäts-Verlag O.Bergsmann, R.Bergsmann: Projektionssymptome" Weitere Artikel finden Sie bei Publikationen und zusätzliche Informationen bei Grundlagen, Fachliteratur, Fachzeitschriften, Lehrgänge © IMF |