Neue Regulationstherapie
bei Bandscheibenvorfällen, Arthrosen und Erkrankungen des Bewegungsapparates


Dr.med. Kurt Mosetter
      
Grundlagen
    

Über Muskelansätze wurden Behandlungszonen wiederentdeckt, die in der Erfahrungsmedizin verschiedener Kulturkreise in deskriptiver Art und Weise als bedeutsame Zonen schon lange bekannt sind.

Muskelinduzierte Symmetriestörungen und chronische Fehlbelastungen können vielfältige Symptome bewirken. Sie führen zu Haltungsasymmetrien, Fehlhaltungen, Schmerzzuständen - aber auch zu Auswirkungen im Vegetativum mit Schlafstörungen, Magenbeschwerden, allgemeiner Unruhe und vielem mehr. Für diesen Komplex an Symptomen entstand eine neue Behandlungsmethode: die "Myoreflextherapie" oder "Muskel-Funktions-Therapie".

Dabei werden nach exakter Palpation und Funktionsanalyse über einen allmählichen manuellen Druckanstieg am Muskel-Sehnen-Knochen-Übergang gezielte muskuläre und bindegewebige Reflexe ausgelöst. Genaue Dosierung der Richtung, Stärke und Zeiteinheit der Reize sind von entscheidender Bedeutung.

      

Prinzipien und Wirkungsweise
    
     
Ausser den Rezeptoren der knöchernen und muskulären Strukturen des ganzen Körpers sind besonders Rezeptoren am Atlasquerfortsatz für die erwünschten Reflexe zu beachten. Bei den Rezeptoren handelt es sich um Golgi-Sehnenorgane, Muskelspindeln und Mechanorezeptoren. Die ausgelösten Reflexe sind über spinale Reflexbahnen, die gate control, und über zentrale Hirnleistungen mit entsprechenden Neurotransmittern erklärbar. Durch die Druckpunktstimulation werden zu hohe Istwert-Spannungen des Muskels bewusst gemacht, fokussiert und reguliert. D.h. mit den obigen Regelkreisen kommt es über die körpereigenen Bewegungsprogramme zur Angleichung von Istwert und Sollwert des Muskeltonus; ein zu hoher Grundtonus wird reduziert. Die Regulation ist damit eine aktive Leistung des ZNS des Patienten. Der Therapeut bedient sozusagen nur "das Keyboard eines Computers".

Ausser Reaktionen des vegetativen Nervensystems mit sympathicolytischen Effekten spielen auch zentrale Lernvorgänge eine entscheidende Rolle. Mit der Muskel-Funktions-Therapie kann der Teufelskreis: Verspannung - muskuläre Dysbalance - Gelenkfehlbelastungen - Durchblutungsstörungen - degenerative Prozesse - Schmerz -.. durchbrochen werden.

      

Biomechanik
            

Dreh- und Angelpunkt in dem neuen Therapiekonzept ist die Anatomie in Funktion. Bei der Muskel-Funktions-Therapie geht es um die sofortige Lösung der zu hohen Spannung im Muskel und um die unmittelbare Entlastung von Gelenken und Weichteilstrukturen. Wobei Umbaureize der ursprünglichen Beweglichkeit dienen und zur Wiederherstellung einer funktions-tüchtigen Biomechanik führen.

Als Denkmodell steht bei dieser Form der Myoreflextherapie die Physik des Bewegungsapparates an erster Stelle. Überlegungen dazu sind nur über das Verständnis komplexer Vektorsysteme dynamischer und statischer Kräfte bzw. Kraftwirkungen nach-vollziehbar. Dabei lässt sich jeder Muskel mit einem Kraftvektor vergleichen, wobei sowohl Betrag als auch Richtung der Kraft in gleicher Weise zu beachten sind. Bezieht man sämtliche Anteile des Bewegungsapparates, wie Knochen, Knorpel, Muskeln und Gelenkbänder, in die Betrachtung ein, so zeigt es sich, dass allgemeine Bewegungsgesetze auf den Organismus anwendbar sind. Die Bewegungen des Körpers und seiner Teile können mathematisch beschrieben werden. Damit ist gemeint, dass der biologische Organismus in mechanischer Hinsicht so gebaut ist, dass er harmonisch den Kraftgesetzen folgt. Jeder Verstoss gegen diese Balance zieht entsprechende Schädigungen nach sich.

 

Schmerz
           

Die Bewusstwerdung eines solchen Verstosses ist der Schmerz. D.h. er wird als Ausdruck einer gestörten Bewegungsgeometrie verstanden. Schmerz hat eine wichtige Signal- und Warnfunktion, um irreversible, degenerative Selbstschädigungen des Organismus zu vermeiden. Schmerz ist somit in vielen Fällen als Leistung des ZNS zu verstehen. Die eingehende Betrachtung und Differenzierung von Schmerz und seiner Entstehung ist grundlegend für das tiefere Verständnis der Myoreflextherapie.

Über eine konsequente Behandlung verliert der Schmerz als Signal für Funktionsstörung seine Notwendigkeit und verschwindet deshalb. Es entstehen neue Bewegungsspielräume und letztendlich ausbalancierte Belastungsverhältnisse mit wiedergefundener Gesundheit. Über Reflexe und Bewegungen entfaltet sich eine harmonische Integration der verschiedenen auf den Patienten einwirkenden Reize (Sinneswahrnehmungen, Muskel- und Nervenleistungen).

 

Anatomie in Funktion
             

Unterschiedliche Herangehensweisen liefern ein analoges System von Behandlungspunkten. Über die Kombination von Erfahrungsmedizin, d.h. Modellen der Traditionellen Chinesischen Medizin und der Tibetischen Medizin, mit Kenntnissen aus der modernen Physik und mit der Lehre der Anatomie in Funktion leitet sich ein exaktes Konzept von Behandlungspunkten ab. So können z.B. bei Rückenbeschwerden folgende Zuggurtungssysteme mit Agonisten- und Antagonistenketten behandelt werden:

Die ventrale Achse der Muskelschlinge kann in der Diagonale über folgende Kette beschrieben werden:

M. biceps brachii, M. pectoralis minor, M. pectoralis maior, M. obliquus externus, M. tensor fasciae latae.

Die dorsale Achse wäre in diesem Falle reprä-sentiert über: M. triceps brachii, M. trapezius, M. latissimus dorsi, M. glutaeus der kontralateralen Seite bis hin zum M. biceps femoris, M. soleus und Mm. gastrognemii.

Entscheidend sind in jedem Falle auch direkte Verbindungen von Schmerzsyndromen dorsal über einzelne Muskeln mit den entsprechenden Behandlungspunkten ventral.

So werden bei Nacken- und HWS-Beschwerden Punkte ventral am Sternum der Clavicula und der ersten und zweiten Rippe behandelt. Diese Punkte erklären sich über den Verlauf der Mm. sternocleidomastoidei und Mm. scalenii.

  • Bei einem Bandscheibenvorfall im Bereich der unteren LWS werden ebenfalls bestimmte Muskelansätze am Beckenkamm vorne behandelt. In diesem Falle erklärt der Verlauf des M. iliopsoas diese Zusammenhänge.

 

Indikation
         

Die Indikationsliste umfasst ein weites Feld und soll ausführlicher vorgestellt werden: Zuerst seien Geschehen erwähnt, bei denen allein schon durch ihre Bezeichnung ersichtlich wird, dass sie muskulärer Natur sind: Insertionstendopathie, Muskelhartspann, Myogelose, Muskelzerrung und Muskelverkürzung.

Folgende weitere Syndrome stehen ebenfalls in enger Korrelation mit bestimmten Muskelgruppen: M. iliopsoas-Syndrom, M. piriformis-Syndrom, M. biceps-Syndrom, M. trapezius-Syndrom, Rotatorenmanschetten-Syndrom, Scalenus-Syndrom, M. obliquus superior-Syndrom, Supraspinatus-Syndrom und Tietze-Syndrom.

Im Rahmen einer weitreichenderen Betrachtung seien Syndrome genannt, bei welchen mehrere Gelenke sowie die entsprechenden Muskelgruppen und alle Strukturen, die zu diesen Segmenten gehören, beteiligt sind: BWS-Syndrom, HWS-Syndrom, Cervicobrachialgie, Cervicoenzephalgie, Lumboischialgie, Funktionelle Gelenkblockaden, Torticollis und Tinnitus.

Auch bei Symptomen mit Reizungen bzw. Entzündungen in näher umschriebenen Regionen ist ein Bezug zu Muskelansätzen und deren Strukturen gegeben: Tendovaginitis, Vertebragene Intercostal-neuritis, Coracoiditis, Epicondylitis, Neuritis ilioin-guinalis, Periarthritis humeroscapularis und das Funktionelle Carpaltunnel-Syndrom.

Mechanische Schädigungen, die auf Funktions-fehlbelastungen zurückgehen, stellen eine weitere Indi-kation dar: Arthrose (z.B. Coxarthrose, Gonarthrose), Bandscheibenprotrusion, Bandscheibenprolaps, Chondropathia patellae, Halux valgus, Occlusionsstörungen (Kiefergelenk) und Skoliose.

Abschliessend sollen Erkrankungen aufgeführt werden, bei welchen die Behandlung mittels Manueller Schmerztherapie oft sehr gute Erfolge oder zumindest eine wesentliche Linderung der Symptomatik und eine entscheidende Entlastung des Patienten gewährleistet:

Sudeck-Syndrom, Trigeminusneuralgie, Muskeldystrophie, Morbus Meniere, Morbus Parkinson, Morbus Scheuermann, Multiple Sklerose, Polyarthritis, Morbus Bechterew, Asthma, Spastik, Migräne, Funktionelle Arrhythmie, Funktionelle Angina pectoris (Prinz Metall Angina), Funktionelle Hypertonie, Vertigo und Fibromyalgie-Syndrom.

Selbst Spätfolgen chronischer Fehlbelastungen wie Arthrosen und Bandscheibenvorfälle können im Frühstadium, ja selbst noch beim ausgeprägten, fortgeschrittenen Krankheitsbild mit sehr gutem Erfolg behandelt werden.

 

Zusammenfassung
           

Ein Ziel des Therapeuten muss es sein, dem Patienten über wiedererlangte Bewegungsabläufe Bewusstheit zu vermitteln und dadurch diese Bewegungsmuster zu einem nonverbalen Lernvorgang zu machen. Diese spezielle, neuentwickelte bzw. wieder-gefundene Reflexbehandlung bietet in Kombination mit anderen angepassten Therapiemethoden vielfältige Möglichkeiten.

 

Publikationen
             
Momente der Psychotraumatologie. Vorgelegt bei
Prof. Gottfried Fischer an der Universität zu Köln

Muskel-Funktions-Therapie in der Funktionellen Anatomie

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