Allergische Erkrankungen und ihre homöopathische Behandlung |
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Franz Schneider |
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Definition der Allergie |
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Allergie = veränderte Reaktionslage: Allergien sind eine unangemessene und gesteigerte Reaktion des Immunsystems auf normalerweise harmlose Substanzen. Hauptmerkmale:
Als Allergene fungieren hauptsächlich Proteine. Zu den wichtigsten Allergenträgern zählen Milben, Pollen, Schimmelpilze, Haustiere, Insekten, chemische Stoffe in der Industrie, Medikamente und Nahrungsmittel. Auch psychische Faktoren können allergische Reaktionen provozieren. In einer Reihe von Experimenten an Personen mit Pollinosis traten Symptome auf, sobald sie einen Raum betraten, in dem künstliche Blumen standen, sogar der Anblick der Blumen genügte. Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens bietet die Psychoneuroendokrinologie an: Nach neueren Erkenntnissen stehen Mastzellen über feine Nervenendigungen mit dem Gehirn in Verbindung. Diese Nervenendigungen enthalten eine Substanz, die eine Degranulierung der Mastzellen hervorrufen kann; allerdings ist noch unbekannt, welche Bedeutung sich daraus für Allergien ergibt. Erkrankungen, die durch Allergene ausgelöst werden können, sind Heuschnupfen, Asthma
bronchiale, Ekzeme, Urtikaria, Angioödem und Nahrungsmittelallergien. Am meisten
gefürchtet ist die Anaphylaxie.
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Stadien einer allergischen Reaktion |
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1. Sensibilisierung: Sensibilisierung entsteht nach Kontakt mit einem Allergen, das von Makrophagen verschlungen, zerstückelt und in Fragmenten auf der Zelloberfläche präsentiert wird. T-Helferzellen binden sich an diese Bruchstücke und werden zur Ausschüttung von Interleukin und anderen Substanzen ange- regt. Dies wiederum lässt B-Lymphozyten in Plasma zellen ausreifen, die Antikörper zunächst vom IgM-, später vom IgE-Typ produzieren. IgE-Moleküle binden sich dann an Rezeptoren von Mastzellen und von Basophilen. Hat die Produktion von IgE-Antikörpern erst einmal begonnen, hält sie über Monate bis Jahre an. 2. Mastzellaktivierung: Die Zweitexposition leitet ein Stadium der Überempfindlichkeitsreaktion ein. Sekunden nach dem Kontakt mit menschlichem Gewebe bindet sich das Allergen an die IgE-Antikörper. Die so aktivierte Zelle gibt hochwirksame Mediatoren ab, die auf direktem oder indirektem Wege allergische Symptome erzeugen. 3. Anhaltende Immunaktivität: Aktivierte Mastzellen locken andere Immunzellen
wie Basophile, Eosinophile, Lymphozyten und Monozyten ins entzündlich veränderte Gewebe
an, ein gemeinsames Kennzeichen von Allergie und parasitärer Infektion (in bakteriellen
Entzündungsherden kommen diese Zellen praktisch nicht vor, sondern hier überwiegen
neutrophile Granulozyten. Die angelockten Zellen sondern Substanzen ab und lassen die
Frühsymptome anhalten und sich verschlimmern, so dass das betroffene Gewebe schliesslich
dauerhaft geschädigt wird (chronische Entzündung). Eosinophile z.B. setzen toxische
Protei- ne frei, von denen eines - das basische Hauptprotein (major basic protein)
- die Epithelzellen der Atemwege schädigen kann.
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Neue Hypothese zur Pathogenese |
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In der Bundesrepublik Deutschland leiden 30-40 % der Bevölkerung an irgendeiner Form von Allgerie. Wie konnte es zu einer derartigen Verbreitung kommen? Eine neue Hypothese fusst auf der Beobachtung, dass gewisse Begleiterscheinungen der Allergie sonst nur bei parasitären Infektionen auftreten, nämlich die massive Produktion von Ig-E-Antikörpern. Dieser Hypothese zufolge entwickelte sich die allergische Reaktion ursprünglich als Waffe des Körpers gegen Parasiten. Heutzutage, da parasitäre Erkrankungen in den west-lichen Industrieländern selten vorkommen, richtet sich dieser unterforderte" Teil des Immunsystems in kontraproduktiver Weise gegen andere Substanzen wie Pollen etc. Nach epidemiologischen Untersuchungen treten Allergien in Entwicklungsländern seltener auf. Dagegen brachten Tests dieser Hypothese in Tierversuchen keine schlüssigen Ergebnisse.
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Ältere homöopathische Literatur zum
Thema Allergie |
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J.T. Kent, Arzneimittelbilder S. 634: Für Heufieber ist nur sehr schwer ein passendes Heilmittel zu finden. Diese Krankheit ist das Zeichen einer minderwertigen Konstitution, die gebessert werden müsste, bevor das Heufieber beginnt; ein Ausdruck von Psora, die einmal im Jahr zum Ausbruch kommt. Wenn man sich einige Jahre Zeit lässt, kann man bei den meisten Kranken die psorische Konstitution ändern, aber nicht mit einer einzigen Kur. Darum sollte man die Hoffnung nicht zu früh aufgeben. Heufieber mit seinem dauernden Katarrh geht häufig auf schlecht behandelte fieberhafte Erkrankungen zurück. Auch gemäss der homöopathischen Lehre besteht bei allergischer Erkrankung und parasitärer Infektion einer Gemeinsamkeit, nämlich die primär psorische Belastung. Deshalb muss jede Allergie als chronische Krankheit behandelt werden, wozu die Erhebung der vollständigen Anamnese erste Bedingung ist. Insbesondere ist das Augenmerk zu richten auf Krankheiten in der Familie, frühere Erkrankungen des Patienten samt deren Therapie, Impfungen, dauernde oder immer wieder auftretende Befindlichkeitsstörungen und auf eine evtl. Auslösesituation. Ebd. S. 69: Die eigentliche Natur des Heufiebers ist uns noch unbekannt. Es ist wahrscheinlich die Manifestation einer chronischen Krankheit, eine Kundgebung der Psora, und kann nur durch antipsorische Behandlung geheilt werden... Hört das Heufieber auf, müssen wir mit Allgemeinbehandlung einsetzen. Da treffen wir bei gehöriger Beobachtung Symptome an, die total verschieden sind von denen des akuten Anfalls... denn der Zustand gleicht dann einer akuten Krankheit auf der Grundlage von Psora... Die günstigste Zeit, Heufieber zu heilen, liegt zwischen dem Verschwinden des akuten Anfalls und seinem Wiederauftreten nach einiger Zeit. Da kommt das Heufieber dann in geschwächter Form wieder, ganz verschieden vom vorherigen Anfall, und verlangt ein anderes Mittel. So heilt fast jeder Fall, wenn das konstitutionelle Mittel richtig gewählt wurde. In diesem Passus rät uns Kent, wie unsere Vorgehensweise bei der Behandlung von Allergien aussehen sollte. Saisonabhängige Beschwerden sollten mit dem passenden Akutmittel angegangen werden, was in der Regel eine deutliche Erleichterung verschafft; nach Abklingen der Saison müssen ein oder mehrere tieferwirkende (meist antipsorische) Heilmittel folgen, ausgewählt nach den miasmatischen Symptomen. Jahreszeitlich unabhängige Allergien wie Ekzeme sollten alsbald mit chronischen Arzneien therapiert werden. Ebd. S. 644: Die Behandlung des Heufiebers erfordert viel Fleiss, weil man mit der merkwürdigen Geisteshaltung dieses Patienten-Typs rechnen muss, der nur schwer zugänglich ist. Der Patient liebt es nicht, dass man mit ihm über seine Hämorrhoiden, seine dicke Hornhaut an den Fussohlen, seine Kreuzschmerzen, seinen mit Verstopfung abwechselnden Durchfall spricht oder sonst in ihn eindringt, sondern er will sein Heufieber behandelt haben. Alle eben erwähnten Symptome bessern sich stets mit Eintritt des Heufiebers. Manchmal erzählt der Patient, er fühle sich immer wohl, ausser wenn er Heufieber habe. Er mag sich vielleicht gesund fühlen, aber er ist in Wirklichkeit keinesfalls gesund. Die aufgezählten Beschwerden hat er schon immer gehabt; er möchte uns nur nicht damit belästigen. Das Heufieber allein wird aber kaum jemals die richtige Mittelwahl ermöglichen. Nochmals schärft uns Kent ein, nicht nur die Symptome der Allergie für unsere Mittelwahl zu berücksichtigen, sondern wie bei jeder chronischen Krankheit die Gesamtheit der Symptome zu erfragen, was natürlich die Einsicht des Patienten in unser Prozedere erfordert. Anmerkung zur Psychosomatik: Viele Allergiker können zur Auslösesituation
wenig erzählen, was häufig bei psychosomatisch Kranken zu beobachten ist. Dies liegt an
der mangelnden Symbolisierungsfähigkeit, d.h. dem Fehlen von differenzierter Wahrnehmung
innerseelischer Befindlichkeiten. Der seelische Affekt geht als Symptom ins Soma.
Vorherrschend sind das Gefühl einer tiefen Hoffnungslosigkeit und die Unfähigkeit, sich
in der Situation als aktiv Handelnder erleben zu können. Es scheint, als hätte Kent
dieses Dilemma seiner Heufieber-Patienten intuitiv erfasst, ohne es näher fassen zu
können, wenn er von der merkwürdigen Geisteshaltung dieses Patienten-Typs
spricht. Heute nennt die Psychoanalyse diese Persönlichkeitsstruktur emotionelles
Analphabetentum".
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Kasuistiken |
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Ich möchte eine Familie vorstellen, Mutter und Kind, deren Behandlungen mittlerweile abgeschlossen sind, und dann den Vater, bei dem es zu einem besonders interessanten Verlauf kam. 1. Als erste kam die damals 34-jährige Mutter im Oktober 1990 in die Sprechstunde wegen Neurodermitis. Sie macht einen offenen, herzlichen Eindruck und ist von Beruf Arzthelferin. Bisher wurde sie mit Cortison-Salben behandelt. Schon als Kind war sie sehr anfällig für Conjunktivitiden und musste immer eine Sonnenbrille tragen. Vom 12. bis zum 20. Lebensjahr bestand Heuschnupfen, der von selbst verschwand, danach war die Haut auffallend empfindlich gegen Waschmittel, Sonne und Insektenstiche. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes im Mai 1988 begann die Neurodermitis, zunächst mit juckenden Bläschen in den Hantellern und an den Fussohlen, in den Achselhöhlen und hinter den Ohren, dann Rötung um die Augenwie entzündet", seit einigen Wochen zusätzlich ein juckender Ausschlag am Hinterkopf mit unbändigem Verlangen zu kratzen. Nach dem Kratzen sondert das Ekzem ein dünnes, gelbliches Sekret ab. Auf Katzenhaare reagiert sie mit Jucken in den Augen und an der Haut. Familienanamnese: Der Vater hatte diverse Allergien, war Alkoholiker und starb an Leberzirrhose. Die Mutter leidet an einem Mammakarzinom. Frühere Krankheiten: Als Kind Milchschorf, Rachitis, Anämie, hatte mit drei Jahren immer wieder Fieberschübe, für die kein Anlass gefunden werden konnte. Der Heuschnupfen begann kurz, bevor sie ins Internat kam (Anm. der Pat.: Verlassenheit, fehlende Zuwendung?). In der Pubertät oft eitrige Angina, mit 17 Jahren Tonsillektomie. Symptome: Eindeutige Verschlechterung der Haut im Frühjahr und im Herbst, oft kalte Füsse, verträgt nur goldene Ohrringe, Sinusitis im Sommer 1990. Abneigung gegen Spirituosen, Fisch, Milch und weichgekochte Eier, während Kindheit und Jugend Obstipation, durch die ständig harten Stühle Hämorrhoiden, Zyklus und Schwangerschaften unauffällig, verträgt menschenvolle Räume schlecht, hat Höhenangst.
Behandlung und Verlauf: Sulfur LM 18, 1 x tgl. 5 Tropfen, wegen der vorausgegangenen Unterdrückungen. Nach zwei Wochen Anschwellung und Rötung der Augenpartien, konnte mehrere Tage nicht aus dem Haus gehen. Im November heilt die Haut langsam ab, im Januar 1991 vollständig abgeheilt. Anfang März 1991 (Frühjahr!) erfolgt ein Rückschlag. Der Ausschlag ist in den Achselhöhlen und an den Armen, Pat. erwacht nachts vom Kratzen. Der Hinterkopf ist freigeblieben (Heringsche Regel!). Sulfur wird für einen Monat ausgesetzt, und der Ausschlag verschwindet wieder. Im April 1991 ist die Haut völlig in Ordnung, nochmals Verordnung von Sulfur LM 18. Danach hörte ich nichts mehr von der Patientin, bis sie 1994 wegen ihres Sohnes wiederkam, doch davon später. Sie hatte bis jetzt (Oktober 95) keine allergischen Beschwerden mehr. Anmerkung: Aus meiner heutigen Sicht würde ich das Mittel nach Abklingen des Rückfalls nicht wiederholen. Es handelt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte Spätverschlimmerung. Hahnemann schreibt dazu im §. 161 des Organon: ...wo aber Arzneien von langer Wirkungsdauer ein altes oder sehr altes Siechthum zu bekämpfen haben, da dürfen keine dergleichen, anscheinende Erhöhungen der ursprünglichen Krankheit, während des Laufs der Cur sich zeigen und zeigen sich auch nicht, wenn die treffend gewählte Arznei in gehörig kleinen, nur allmälig erhöheten Gaben, jedesmal durch neue Dynamisirung (§. 247) um etwas modificirt wird; dergleichen Erhöhungen der ursprünglichen Symptome der chronischen Krankheit, können dann nur zu Ende solcher Curen zum Vorschein kommen, wenn die Heilung fast oder gänzlich vollendet ist. Die Wiederholung von Sulfur war demnach überflüssig, hat aber keine schädigende Wirkung bei der Patientin gezeitigt.
2. Der zweijährige Sohn hat seit Beginn des Sommers 94 Neurodermitis, lokalisiert an Ell- und Kniebeugen und im Nacken. Gekratzt hatte er schon über ein Jahr lang, besonders wenn er unbekleidet war und auch bei warmen Temperaturen. Heuer traten nun die typischen Hautveränderungen auf, die vom Dermatologen eben als Neurodermitis diagnostiziert wurden. Bisher wurde er vom Hausarzt homöopathisch behandelt mit Pulsatilla und Calcium carbonicum. Ausser einer eitrigen Mittelohrentzündung (Th. Penicillin) war er noch nicht krank. Er war bei der Geburt ziemlich gross und kam mit einer Asphyxie zu Welt (Nabelschnur um den Hals), von der er sich aber schnell erholte. Drei Monate wurde er gestillt, Kuhmilch verträgt er nicht. Impfungen hatte er vertragen, mit einem Jahr zu laufen begonnen, mit dem Sprechen ist er spät dran, bis jetzt gibt er nur unartikulierte Laute von sich. Nach Auskunft der Muttter sei er schon immer ein ruhiges und zufriedenes Kind gewesen, und diesen Eindruck macht er auf mich auch. Als Säugling hatte er Schnupfen, auch später des öfteren (Pulsatilla zeigte immer prompte Wirkung), er schläft auf dem Bauch und deckt sich nachts ab. Nach dem Waschen und beim Schwitzen rötet sich die Haut. Er neigt sehr zum Schwitzen, besonders am Kopf und an Händen und Füssen.
Behandlung und Verlauf: Ab 15.6.94 Sulfur LM 18, 1x tgl. 1 Tropfen. Am 26.7.94 berichtet die Mutter telefonisch, dass es zunächst besser ging, aber in letzter Zeit kratzt er vermehrt besonders in den Ellbeugen, wo die Haut jetzt wund ist. Nach wenigen Tagen Sulfur-Einnahme hatte er für einen Tag Fieber und danach 2 Wochen lang Schnupfen. Nun verordne ich Kalium Sulfuricum LM 18, weil Pulsatilla als Akutmittel immer gut wirksam war. Kent führt in seinen Arzneimittelbildern S. 474 aus: Offenbar wirkt Kalium sulf. ähnlich wie Pulsatilla, nur intensiver. Das Mittel vollendet wie ein Komplement die Wirkung von Pulsatilla, ausser wenn es sich um sehr frostige Patienten handelt, die durch Ruhe gebessert werden. Bei solchen Kranken wird Silicea häufig die restlichen Symptome heilen. Erneuter Anruf der Mutter am 15.9.94: Die Haut ist völlig abgeheilt. Als Besonderheit ist zu vermerken, dass er seit einigen Wochen gierig auf Milch geworden ist und diese jetzt auch verträgt. Bis heute (Oktober 95) keine Hauterscheinungen mehr. Anmerkung: Es drängt sich die Überlegung auf, ob die Verschlimmerung des Hautbildes nach anfänglicher Besserung eine Spätverschlimmerung gewesen sein könnte, was eine weitere arzneiliche Behandlung ausschliessen würde. Ich denke, zwei Argumente sprechen dagegen:
3. Der damals 39-jährige Vater kam im März 91 in die Praxis wegen Heuschnupfen und Asthma bronchiale (extrinsic). 1976, er hatte sich eben verliebt, begann plötzlich die Allergie an der Nasen- und Rachenschleimhaut, nach 5 Jahren wurden auch die Bronchien in Mitleidenschaft gezogen. Während der Saison vom März bis in den Sommer hinein nimmt er Teldane, Hismanal und Allergospasmin-Spray. 1983 - 1986 wurde hyposensibilisiert, zunächst mit deutlicher Besserung der Beschwerden, dann wurde es aber schlimmer als je zuvor. In den letzten Jahren nimmt er zusätzlich zu den Allopathika Luffacur und das Heuschnupfenmittel der DHU, was etwas erleichtert. Familienanamnese: Beide Eltern leiden unter Allergien (Ekzeme, Nahrungsmittel- und Medikamen- tenunverträglichkeiten), der Vater war als Kind an Knochentuberkulose erkrankt. Frühere Erkrankungen: Als Kleinkind Pavor noc-turnus und azetonämisches Erbrechen. Mit 5 Jahren Entfernung der Rachenmandel, Scharlach wurde stationär mit Antibiotika behandelt. Während der Schulzeit hatte er oft Kopfschmerzen immer über dem rechten Auge, mit Übelkeit und Erbrechen, verschwanden in der Pubertät. Mit 17 Jahren Hepatitis A, kurz danach Tonsillektomie wegen häufiger Anginen (Th: Antibiotika), vor 10 Jahren eine leichte Pyelonephritis und eine unspezifische Urethritis. Symptome: Kein Fieber bei grippalen Infekten, auch in der Kindheit nicht; einzige Ausnahme war die Hepatitis, wo er hoch fieberte. Insgesamt ist ihm eher zu warm, trinkt viel, am liebsten Kaltes. Übliche Heuschnupfen-Symptome wie Niesen, Fliesschnupfen, Jucken am Gaumen und in den Augen, dazu rote juckende Hautstellen. Das Asthma tritt immer mit einer massiven Bronchitis auf mit Hustenreiz rechts subclaviculär. Bei einer Röntgenaufnahme wurden in diesem Bereich Pleuraverschwartungen festgestellt als Hinweis auf eine frühere Lungenerkrankung (Pneumonie, Pleuritis?). Die Atemnot beginnt abends und verschlimmert sich nachts im Liegen, mit einem quälenden, bellenden Husten. Der Genuss von Äpfeln, Birnen und Nüssen führt zu Kratzen und Beissen im Hals. Behandlung und Verlauf: Verordnung von 2 x tgl. 5 Tropfen Pulsatilla LM 6. Nach 3 Wochen ruft er an wegen einer Erkältung, bei der das Asthma förmlich explodiert". Er bekommt nachts kaum noch Luft und fühlt sich zum Sterben. Daraufhin Verordnung von Sulfur LM 18. Ich habe dann von ihm nichts mehr gehört, bis die Ehefrau im Sommer 94 mit dem Sohn kam. Nach ihrer Auskunft sind seine allergischen Beschwerden weitgehend weg, er benötigt keine Medikamente mehr. Im Frühjahr 95 stellte sich heraus, dass das Geschehen sich dramatisch verschlechtert hatte. Am 23.3.95 kam der Patient zu mir wegen einer schweren sog. endogenen Depression. Das erste Mal trat sie im Februar 94 auf, beginnend mit Schlaflosigkeit, wirren Gedanken", dann entwickelte sich eine zunehmende Antriebslosigkeit (könnte keinen Nagel in die Wand schlagen"). Behandelt wurde er zunächst mit dem Antidepressivum Sinquan, im Mai 94 musste er sich stationär in eine psychiatrische Klinik aufnehmen lassen, dort 8-wöchige Behandlung mit Medikamenten und Gruppenpsychotherapie. Nach Abklingen der Depression kam drei Wochen lang der Heuschnupfen hervor, der sich in jenem Jahr nicht bemerkbar gemacht hatte! Heuer im Februar kam die Depression wieder, und wieder kein Anzeichen der Allergie. Anfangs standen die Schlafstörungen mit Gedankenzudrang im Vordergrund, mittlerweile ist er völlig antriebslos und seit Wochen krankgeschrieben. Der Hausarzt hatte ihn zu- nächst mit Lycopodium D 12 und einer Bachblütenmischung behandelt, ihn aber dann mangels Besserung zum Psychiater überwiesen. Seither nimmt er Saroten 75 und Tavor 1.0. Er möchte von den Psychopharmaka wegkommen und hat den Wunsch, mit Psychotherapie und Homöopathie therapiert zu werden. Auf eine mögliche Auslösesituation hin befragt ergibt sich folgendes: Im Frühjahr 94 war er beruflich und privat belastet. Sein neuer Vorgesetzter war ihm gegenüber kritisch eingestellt, dadurch war sein Stand in der Firma schwierig geworden. Zur selben Zeit hatte er ein Haus gekauft, dessen Finanzierung durch die veränderte berufliche Situation wacklig zu werden drohte. Darüber hinaus erlebte er den Umgebungswechsel als unerwartet schwierig. Im Sommer 94 wechselte er dann zu seiner jetzigen Firma, wo er eine leitende Stellung mit hoher Verantwortung innehat. Biographie: Seine Kindheit beschreibt er als gut und schön". Die Mutter sei auf freundliche Art bestimmend gewesen und fungierte als geheimer Chef der Familie. Sie nahm alle unangenehmen Dinge auf sich; dafür hegte sie grösste Erwartungen auf die berufliche Entwicklung des Patienten, und zwar von klein auf. Nach aussen hin lebte die Familie abgeschlossen; Konflikte untereinander wurden herabgespielt nach dem Motto: Bei uns ist alles in Ordnung". Ein Verwandter der Grossmutter mütterlicherseits war aber der Bruder eines der führenden Nazigrössen, wodurch die Familie nach Kriegsende in eine beschämende und demütigende Lage kam. Quasi als Ausgleich dafür sollte er eine glänzende berufliche Karriere machen und bekam jede mögliche Förderung. Mit 25 Jahren hatte er sein Studium mit der höchsten Auszeichnung abgeschlossen. Enttäuscht war er von der Haltung seiner Familie: Überall bin ich der Beste und bekomme kein Lob". Der hervorragende Studienabschluss und auch die spätere steile Karriere wurden als selbstverständlich erachtet. Zu dieser Zeit hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben richtig verliebt (bei Beginn der Allergie). Er zog von zuhause aus, aber die Beziehung zur Freundin ging schnell schief, und die Trennung schmerzte ihn sehr. Repertorisation: Als Leitsymptom ist sicherlich die unbewältigte Nazi-Vergangenheit im familiären System zu bewerten. Dem Patienten fällt dabei die Rolle zu, den Schandfleck" wieder gutzumachen. Ihm selbst war ein möglicher Zusammenhang zwischen seiner Depression und der Familiengeschichte bei der Psychotherapie während des stationären Aufenthalts 1994 denkbar und nachvollziehbar geworden. Wie ist nun der eigenartige Symptomwechsel von saisonbedingter Allergie zum Gemütsleiden zu erklären? Hahnemann, der bekanntlich die Gabe der genauesten Beobachtungsfähigkeit hatte, kann uns hier wichtigste Hinweise für dieses Phänomen geben. Ich zitiere aus dem Organon, 6. Auflage: § 215: Fast alle sogenannten Geistes- und Gemüthskrankheiten sind nichts anderes als Körper-Krankheiten, bei denen das, jeder eigenthümliche Symptom der Geistes- und Gemüthsverstimmung, sich unter Verminderung der Körper-Symptome (schneller oder langsamer) erhöhet und sich endlich bis zur auffallendsten Einseitigkeit, fast wie ein Local-Übel in die unsichtbar feinen Geistes- oder Gemüthsorgane versetzt. § 216: ...Sie (gemeint sind Körper-Symptome) arten...zur einseitigen Krankheit, gleichsam zu einer Local-Krankheit aus, in welcher das vordem nur gelinde Symptom der Gemüths-Verstimmung zum Haupt-Symptome sich vergrössert, welches dann grösstentheils die übrigen (Körper-) Symptome vertritt, und ihre Heftigkeit palliativ beschwichtiget, so dass, mit einem Worte, die Übel der gröberen Körperorgane auf die fast geistigen, von keinem Zergliederungs-Messer je erreichten oder erreichbaren Geistes- und Gemüths-Organe gleichsam übergetragen und auf sie abgeleitet werden. Die Depression als Gemütssymptom vertritt also nach Hahnemann die Allergie als Körpersymptom. Miasmatisch ordnet er dieses Geschehen der sich entwickelnden Psora (gleichsam als eine von ihr auflodernde Flamme) und/oder der Syphilis zu. Dementsprechend kann hier nur eine antipsorische Arznei aus der Rubrik Zurückkommen und beharren auf vergangenen unangenehmen Dingen" in Betracht kommen. Der Heuschnupfen begann im zeitlichen Zusammenhang mit einem Liebeskummer, im Repertorium unter Beschwerden durch unglückliche Liebe". Auffallend sind weiterhin die häufigen Kopfschmerzen in den Jahren vor der Pubertät, immer über dem rechten Auge, siehe Kopfschmerz bei Schulmädchen" und Kopfschmerz in der Stirn über dem rechten Auge". Bereits diese vier Symptome konstituieren das Heilmittel. Weitere, das Mittel bestätigende Symptome sind: Schlaflosigkeit durch Gedankenzudrang während der Depression, die Tuberkulose-Erkrankung in der Fami-lienanamnese, der Heuschnupfen mit Asthma, und die durchgemachte Hepatitis.
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Behandlung und Verlauf: Nach 5 Wochen Einnahmezeit von Natrium muriaticum LM 18, 1 x tgl. 3 Tropfen, ist die Depression wesentlich gebessert. Fast zeitgleich dazu trat wieder der Heuschnupfen auf. Nach weiteren 2 Wochen ist die Depression vollständig abgeklungen, Tavor wurde abgesetzt, Saroten reduziert. Der Heuschnupfen macht wenig Beschwerden. Die Psychotherapie soll demnächst beginnen, die Vorgespräche dazu sind abgeschlossen. Nach weiteren 2 Wochen (inzwischen Mitte Mai) sind alle Symptome restlos verschwunden, alle Psychopharmaka abgesetzt. Bis heute (Oktober 95) ist die Lage stabil geblieben, was ich immer wieder von Familienmitgliedern höre, die auch bei mir in Behandlung sind. Es bleibt abzuwarten, was sich nächstes Jahr tun wird. Der Patient will sich im Januar wieder melden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass bei allen drei Familienmitgliedern ein psorisches
Geschehen zu-grunde lag. Insbesondere in der Vorgeschichte der Eltern liegen zum Teil
massive Unterdrückungen vor. Die Auslösung der Allergien war verknüpft mit emotionell
bedeutsamen Ereignissen, beim Vater das unglückliche Verliebtsein, bei der Mutter der
Eintritt ins Internat an der Schwelle zur Pubertät. Oft können wir von Pa-tienten auch
hören: Als es mir richtig gut ging (z.B. zu Beginn einer neuen Partnerschaft), fing die
Allergie an. Die Psychotherapie ist in vielen Fällen von psychosomatischen Krankheiten
eine ideale Ergänzung zur Homöopathie. Kein Arzneimittel kann die Aufarbeitung
unbewältigter Konflikte bewerkstelligen, wohl aber können wir nicht unerheblich dazu
beitragen, dass miasmatisch bedingte Krankheitszustände wie Allergien oder
Symptomverschiebungen vom körperlichen in den seelisch-geistigen Bereich deutlich
gebessert oder auch geheilt werden.
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Literatur |
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Lawrence M. Lichtenstein: Spektrum der Wissenschaften SPEZIAL 2, Allergie und Immunsystem J.T. Kent: Arzneimittelbilder, 7. Auflage Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst, 6. Aufl. Otto Eichelberger: Kent Praktikum, 2. Auflage
Weitere Artikel finden Sie bei Publikationen und zusätzliche Informationen bei Grundlagen, Fachliteratur, Fachzeitschriften, Lehrgänge © IMF |