Die Manuelle
Therapie Tuina |
Dr.phil. Ute Engelhardt |
Einführung |
Die chinesische manuelle Therapie (Tuina, Premoprehension) gilt neben Akupunktur, Arzneimitteltherapie, Diätetik und Qigong als eine der sogenannten fünf Säulen der chinesischen Medizin. Tuina ist eine Form der physikalischen Therapie, die Erkenntnisse aus Bewegungs- und Chirotherapie, Massage, Aku- Moxi-Therapie, Orthopädie und Unfallchirurgie in sich vereint und sich auf die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin stützt. Sie bedient sich verschiedener Handtechniken und spezieller Manipulationen, um die Leitbahnen (Meridiane) durchlässig zu machen, den Qi- und Xue-Fluss zu regulieren und die einzelnen Funktionskreise aufeinander abzustimmen. Besonders bewährt hat sich diese im Westen noch wenig verbreitete Methode bei verschiedensten Beschwerden des Bewegungsapparates und in der Kinderheilkunde. Aber auch bei anderen, zum Teil chronischen Krankheitsbildern wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Diarrhoe, Oberbauchbeschwerden oder Regelstörungen können mit der Tuina-Therapie gute Behandlungsergebnisse erzielt werden. Was Tuina grundlegend von den westlichen Massagetechniken unterscheidet, ist, dass seine sinnvolle Anwendung eine eingehende chinesische Diagnose (insbesondere eine Untersuchung der Zunge und des Pulses) voraussetzt. So wird zum Beispiel bei der Behandlung von Kopfschmerzen zunächst genau unterschieden, auf welcher energetischen Störung diese beruhen, ob sie innen oder aussen induziert sind und auf welche pathogenen Faktoren sie zurückzuführen sind. In der Regel sind bei Kopfschmerzen als krankheitsauslösende Agenzien vor allem die drei Faktoren "Wind" (ventus), "Hitze" (calor) oder "Kälte" (algor) beteiligt. Überwiegt beispielsweise der pathogene Faktor "Wind" (ventus), zielt man in der Therapie auf eine "Vertreibung des Windes" ab und wirkt mit herauslösenden Handtechniken wie "Niederdrücken" (Kompression) und "krei-sendem Reiben" (Mulsion) auf Akupunkturpunkte wie "Pforte der Winde" (porta ventorum, V 12) neben dem zweiten BWK oder auf den "Teich des Windes" (stagnum venti, F 20) unterhalb des Hinterhauptbeines ein. Anschliessend führt man unter kräftiger Druckanwendung mit Handteller oder Handkante eine lineare Massage (Perfrikation) beidseitig entlang der Wirbelsäule durch, um auf diese Weise die "Blasen-Leitbahn" (c. vesicalis) durchlässig zu machen. Innen induzierte Kopfschmerzen sind sehr häufig in Zusammenhang mit Störungen des "Funktionsbereiches Leber" (o.hepaticus) zu sehen. Ihm sind im System der chinesischen Medizin u.a. Muskeln und Sehnen zugeordnet sowie im emotionalen Bereich die Entscheidungsfähigkeit, und er ist zuständig für den "weichen Fluss des Qi". Schlägt der aktive (Yang-) Anteil dieses Funktionsbereiches (z.B. aufgrund anhaltender Stresssituationen) nach oben, so kann dies zu Kopfschmerzen mit Schwindel und geröteten Augen,zu einer Rötung des Gesichtes oder zu unruhigem Schlaf führen. In diesem Fall sollte man mittels der Tuina-Therapie versuchen, das nach oben schlagende Qi des "Funktionsbereiches Leber" wieder abzusenken. Dazu massiert man vor allem von oben nach unten entlang der "Gallenblasen-Leitbahn" (c.fellea) und wendet die beiden Techniken "Niederdrücken" (Kompression) und "kreisendes Reiben" (Mulsion) auf Akupunkturpunkten wie die "Grosse Trossstrasse" (impedimentale maius, H 3) auf dem Fussrücken an. Ausser bei Weichteilverletzungen und chronischen orthopädischen Erkrankungen eröffnet demnach die Tuina-Therapie auch bei Allgemeinerkankungen von Erwachsenen neue Möglichkeiten zu einer individuell abgestimmten und nebenwirkungsfreien Therapie. Noch grösser allerdings ist das Anwendungsspektrum von Tuina in der Kinderheilkunde. Aufgrund der grösseren Reaktionsbereitschaft von Kindern können zahlreiche Krankheitsbilder wirkungsvoll mit Tuina behandelt werden, so dass auf andere Methoden der chinesischen Medizin, die weniger für Kinder geeignet sind (wie Akupunktur oder die Einnahme von Arzneimitteltees) verzichtet werden kann.
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Empfohlene Literatur |
- Fan Chaoyang, Hummelsberger J.: Tuina - Ein praktisches Handbuch, Hugendubel, - Hempen C.H.: dtv-Atlas zur Akupunktur, 1995 - Porkert M., Zhou, John: Premoprehension - Lehrbuch der chinesischen manuellen Therapie (tuina), 1996, Phainon Verlag Zhou, John: Premoprehensionsbehandlung (tuina) bei dem Musculus-piriformis-Syndrom, Chinesische Medizin 1997/1, S. 9-15 © IMF |
Weitere Artikel finden Sie bei Publikationen und zusätzliche Informationen bei Grundlagen, Fachliteratur, Fachzeitschriften, Lehrgänge © IMF |