Lumbago - Ätiologie
und Behandlung aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin |
Dr.med. Josef Hummelsberger |
Einführung |
Chronische Rückenschmerzen, alias Lumbago oder chronisches LWS-Syndrom, sind eine der häufigsten Beschwerden der Patienten in einer Allgemeinarztpraxis. Laut Statistik der bundesdeutschen Sozialversicherung wird diese Diagnose für jeden 7. Krankschreibungstag angegeben, hat also enorme sozialmedizinische und ökonomische Bedeutung. Ätiologisch steht der chronische Bewegungsmangel im Vordergrund, neben Überlastung, Fehlbelastung, Traumata, rheumatischen Krankheitsbildern und Bandscheibenvorfällen. Die Behandlung gestaltet sich in der westlichen Medizin durchaus schwierig und oft langfristig unbefriedigend bzw. führt zu langer Krankheitsdauer und häufigen Rückfällen. So wird die Erfolgsquote selbst bei massiver medikamentöser Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Muskelrelaxantien und Steroiden in der Literatur mit ca. 60% angegeben und ist langfristig mit einer sehr hohen Nebenwirkungsquote behaftet. Physiotherapie sowie verschiedene Entspannungsverfahren haben noch weniger häufig Erfolg und fordern langfristige, disziplinierte Anwendung. Selbst bei operativen Eingriffen, die bei gegebener Indikation bei Bandscheibenvorfällen durchgeführt wurden, klagen 50% der Patienten postoperativ über Beschwerden trotz primär gutem Operationsergebnis. Zwanzig Prozent davon werden auf Operationsfolgen zurückgeführt, 8% der Operierten hatten sogar mehr Schmerzen als vorher. - trotz moderner, minimal invasiver Techniken. Eine Behandlungsalternative für das chronische LWS-Syndrom, aber auch bei Bandscheibenvorfällen ist die Traditionelle Chinesische Medizin (abgekürzt TCM), besonders als ein Teil davon, die Akupunktur-Therapie. - Wie entsteht nun aus der Sicht der traditionellen chinesischen Ärzte dieses Beschwerdebild ? Zuerst muss kurz der Gesundheitsbegriff der TCM dargestellt werden: In "Gesundheit" befindet sich der Mensch dann, wenn seine inneren Energien, speziell die aktive Energie Qi (sprich Tschi) und die nährenden Säfte, die stofflichen Energien, das Blut, das Xue (sprich Hsüeh) im Körper und den Akupunktur-Leitbahnen kontinuierlich und harmonisch fliessen. Wird dieser Energiefluss nun durch pathogene, äussere Faktoren oder durch eine innere Schwäche stranguliert, ist das Hauptsymptom der Schmerz. In den chinesischen Klassikern heisst es "Schmerz ist der Schrei des Qi nach freiem Fluss". Verschiedene Faktoren kommen nun in Frage: Zum einen führt der chronische Bewegungsmangel zu einer Verlangsamung des Xue-Flusses bis zur völligen Blockade. Meist betrifft dies die "Blasen"-Leitbahn, die in der Medianen liegenden "Leitbahn der Steuerung" (Sinarteria regens, chin. dumai) und die "Gallenblasen" - Leitbahn (S.fellea, chin. danmai). Zum anderen kann dies durch einen äusseren pathologischen Faktor wie den "klimatischen Exzess" der "Kälte"-Schädigung (algor, chin. han) oder durch ein Trauma (in der chinesischen Terminologie einer "Wind"-Schädigung, ventus, feng entsprechend) entstehen. Schmerzen, Sensibilitätsstörungen oder Kraftminderung sind durch die Blockade des Energieflusses in den Leitbahnen logisch die Folge. Weiter werden ziehende, dumpfe Schmerzen im unteren Rücken auch auf eine Erschöpfung der vitalen Energie des Yang im "Nieren"-Funktionskreis zurückgeführt. Zur Behandlung stehen in der TCM mehrere Methoden zur Verfügung. Die bei uns bekannteste Therapieform ist die Akupunktur, wo durch gezieltes Setzen von Nadeln die Energieflüsse manipuliert werden können. Hier werden so Blockaden gelöst und pathogene Faktoren ausgeleitet. Die Stützung und Wärmung des "Nieren"-Yang, des sogenannten Lebensfeuers, erfordert meist zusätzlich die Erwärmung durch Abbrennen von Beifuss-Kraut (Moxibustion), das entweder auf die Nadeln aufgesteckt wird, in Kästen liegend oder auf Ingwerscheiben gehäufelt verwendet wird. Tuina, oder chinesische manuelle Therapie, ist ein anderer Teil der TCM, das unter Berücksichtigung der chinesischen Diagnose Massagetechniken, Akupressur und chirotherapeutische Manöver äusserst erfolgreich kombiniert. Die Phytotherapie, die in der VR China bei ca. 70-80 % der mit TCM behandelten Patienten angewandt wird, spielt bei diesem Krankheitsbild nur eine untergeordnete Rolle. Bei sehr hartnäckigen Fällen, bei rheumatologischen Formen oder auch bei oben erwähnter Schwäche des "Nieren"-Yang ist die Einnahme dieser meist pflanzlicher Arzneimittel erforderlich und erfolgreich. Die chinesische Bewegungstherapie Qigong wird vor allem zur Prophylaxe eingesetzt. Das regelmässige Üben führt nachweislich zu einer vermehrten Elastizität und selteneren Rückenbeschwerden, besonders im Alter. Warum diese ausführliche Darstellung der TCM-Diagnose und -Therapie bei Lumbago ? Akupunktur wirkt in einem höheren Prozentsatz, schneller und besser, wenn die Punktauswahl und die gewählte Nadel-Techniken in Übereinstimmung mit der TCM-Diagnose angewandt werden, als wenn dies nach sogenannten Akupunktur-"Rezepten" erfolgt. Diese These entspricht der klinischen Erfahrung aller TCM-Therapeuten, auch wenn bislang Vergleichsstudien zwischen den einzelnen Akupunkturmethoden fehlen (andere Akupunkturverfahren wären z.B. Ohr-Akupunktur, diverse Mikrosysteme, EAV etc.). Die Wirksamkeit der Akupunktur selbst bei Lumbago und auch Bandscheibenvorfällen ist in einer Vielzahl von Studien mittlerweile belegt. Sie ist physiotherapeutischen Verfahren, TENS und anderen Entspannungsverfahren überlegen, der statistischen Erfolgsquote der medikamentösen und operativen Behandlung mindestens ebenbürtig und dies mit einer nur äusserst geringen Nebenwirkungsrate. Aus diesem Grund empfahl auch eine nationale Gesundheitsbehörde in den USA, das National Institute of Health, die Akupunktur als Behandlungsalternative sehr viel häufiger einzusetzen - nicht nur bei dieser Indikation. Das National Institute of Health fordert auch eine bessere, Qualifizierte Ausbildung der Therapeuten und die Aufnahme in die Lehrpläne amerikanischer Universitäten. Ferner sollen vermehrt Mittel für fehlende statistische Studien bereitgestellt werden. Eine Empfehlung, der ich mich nur anschliessen kann.
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Literaturangaben |
- Hempen C.H.: Dtv-Atlas Akupunktur, München 1995 - Jiang Zhenya et.al.: Die Behandlung von 38 Fällen mit lumbalen Bandscheibenprolaps mit Akupunktur als Haupttherapie. Chinesische Medizin Heft 1, 1998 (13.): 28-33. - Nass M. et al.: Akupunktur bei chronischem LWS-Schmerz: Evaluation mittels EMG. Chinesische Medizin Heft 3, 1997 (12.): 97-104. - Fox E.J., Melzack R.: TENS and Acupuncture: Comparison of treatment for low-back-pain. - Coan R.M. et al.: The acupuncture treatment of low-back-pain: A randomized, controlled study. Amer J Chin Med 8:181-189. © IMF |
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