Die Behandlung von Allergien in der TCM
Dr.med. Rainer Nögel
     
Ein Praxisbericht
      

Allergien - "Überempfindlichkeitsreaktionen" - nehmen an Häufigkeit zu, etwa 20% der Bevölkerung leidet darunter. Akute Zustände bei allergischer Rhinitis (z.B. Heuschnupfen), Asthma bronchiale, Hauterkrankungen (z.B. Ekzeme, Nesselsucht) oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten lassen sich mit den Arzneimitteln der westlichen Medizin effektiv behandeln. Ihre Anwendung über längere Zeit hat jedoch den Nachteil vielfältiger Nebenwirkungen. Meist werden nur die Krankheitssymptome unterdrückt, eine Heilung der fast immer chronisch verlaufenden Erkrankungen gelingt so gut wie nie.

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) will dagegen die "Geradläufigkeit" (Orthopathie), also die Gesundheit, wiederherstellen. Mit Akupunktur und überwiegend pflanzlichen Arzneimitteln können Belas-tungen - "Schrägläufigkeiten" (Heteropathien) beseitigt und die körpereigenen Abwehrkräfte gestärkt werden. Begleitende diätetische Massnahmen oder Qigong (v.a. bei Asthma bronchiale) unterstützen den Heilungsprozess. Am Beispiel des Heuschnupfens soll dies verdeutlicht werden.

Symptome wie Juckreiz der Nase, Niesen aber auch asthmoide Reaktionen werden dem Funktionskreis "Lunge" (orbis pulmonalis) zugeordnet. Die TCM kennt fünf Funktionskreise (orbes), die nach Organen benannt sind, mit ihnen jedoch keinesfalls gleichgesetzt werden dürfen. In den orbes sind einander entsprechende Funktionsabläufe und Lebensäusserungen zusammengefasst. Die Körperoberfläche, also Haut und Schleimhäute, und die dort wirkenden Abwehrkräfte, die "Wehrenergie" (qi defensivum) sind dem "Funktionsbereich Lunge" zugehörig. Der orbis pulmonalis ist auch die erste Instanz zur Aufnahme und Verarbeitung von äusserlichen Einflüssen, sei es Sonnenlicht, Sauer-stoff oder Pollen. Ein Heuschnupfen zeigt also bei relativer Schwäche des Lungenfunktionskreises das Eindringen von äusseren Belastungen durch die Pollen an.

Krankheitsauslösende Agenzien oder pathogene Faktoren werden in der TCM nach ihrer Wirkweise unterschieden, die Wirkung der Pollen in unserem Beispiel wird als "Wind" (ventus) und "Hitze" (calor) klassifiziert. So anschaulich dies klingt - Pollen werden durch Wind verbreitet und führen zu entzündlichen, sehr dynamischen Reaktionen - die Bezeichnung der Agenzien sind termini technici eines rationalen, durch die Anwendung während vieler Jahrhunderte erprobten und stringenten Systems.

Nach der ausführlichen Anamnese und der Untersuchung des Patienten wird die Diagnose gestellt. Die sich daraus ergebende Therapie muss eine Kühlung und Dämpfung des Funktionskreises "Lunge" sowie eine Ausleitung der Heteropathien zum Ziel haben.

Dies kann beispielsweise durch die Akupunktur des Punktes "Stagnum curvum" (IC11) in der Ellbogenfalte erfolgen. Er liegt auf der "Dickdarmleitbahn", die zum Aussen (Haut!) - oder Yang-Funktionsbereich des o.pulmonalis gehört.

Krankheiten, die die "Wehrenergie" sowie den "Lungenfunktionsbereich" insgesamt schwächen wie häufige Nasennebenhöhlen - oder Mandelentzündungen, sollten natürlich mitbehandelt werden.

Mit den Methoden der TCM kann man auch die körpereigenen Abwehrkräfte stärken. Um die eingedrungenen Belastungen nicht zu "füttern", das heisst zu vermehren, sollte dies hauptsächlich im beschwerdearmen oder -freien Zeitraum geschehen. Der gekräftigte "Funktionsbereich Lunge" kann dann bei neuerlicher Pollenbelastung die allergische Reaktion vermindern. Im Idealfall verschwindet die allergische Disposition.

Sehr häufig ist bei Allergikern auch der "Funk-tionsbereich Leber" (o.hepaticus) am Krankheitsgeschehen mitbeteiligt. Ihm sind im System der TCM u.a. Muskeln und Sehnen zugeordnet, im emotionalen Bereich die Entscheidungsfähigkeit; er ist für den "weichen Fluss des Qi" zuständig. Auch die Augen, die häufig bei Heuschnupfen brennen, jucken oder tränen sind dem o.hepaticus zugehörig. Arzneimittel wie Chrysanthemenblüten (Flos Chrysanthemi) oder die Blätter des Maulbeerbaums (Folia Mori) bewirken als Abkochung zu Tee aber auch als lokal angewendete Packung eine Kühlung und Klärung der Augen.

Psychische Faktoren, die bei vielen allergischen Erkrankungen eine auch von der westlichen Medizin anerkannte Rolle spielen, lassen sich ebenfalls zwanglos in das Konzept der TCM integrieren. Emotionale Spannungen verschiedenster Art führen zu einem gehemmten Fluss des Qi im o.hepaticus. Es kann dadurch zu "Schrägläufigkeiten" in diesem Bereich kommen, die zu "Hitze" führen oder den "Funktionskreis Lunge" schwächen. Mit dem Instrumentarium der TCM kann der "Funktionsbereich Leber" gelöst, entspannt und gekühlt werden. Der Qi-Fluss wird wieder durchlässig und harmonisch.

Allergische Erkrankungen sind also in der TCM nicht nur theoretisch gut erklärbar, sondern wie die Praxis zeigt, auch wirksam, individuell abgestimmt und damit nebenwirkungsfrei zu therapieren.
    

    

Literatur, eine kleine Auswahl:
    
 
  1. M. Porkert: Die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin, 3. Aufl. 1991, Phainon Verlag
  2. M. Porkert: Die chinesische Medizin, 3. Auflage 1986, Econ Verlag
  3. C.H. Hempen: Die Medizin der Chinesen, Bertelsmann, München, 1988
  4. M. Porkert: Neues Lehrbuch d. chinesischen Diag-nostik, Phainon, Dinkelscherben, 1994
  5. M. Porkert: Klinische Chinesische Pharmakologie, Vfm, Heidelberg, 1978
  6. M. Porkert: Klassische chinesische Rezeptur, 2.Auflage 1994, Phainon Verlag
  7. C.H. Hempen: Dtv-Atlas-Akupunktur, Dtv, 1995
  8. U.Engelhardt/C.H. Hempen: Chinesische Diätetik, U & S, München, 1997
  9. D. Bensky/A. Gamble: Chinese Herbal Medicine, Materia Medica. 2nd edition, Eastland Press, 1993

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