Schmerzbehandlung mit  Akupunktur
Dr.med. Elisabeth Studer
      
Chinesische Medizin
      

Üblicherweise ist von der traditionellen chinesischen Medizin oder TCM, nur die Akupunktur im Westen verbreitet. Es handelt sich jedoch um ein sehr komplexes medizinisches System, welches heute noch und immer mehr auch im Westen an Bedeutung gewinnt und keinesfalls mit einer der von der Weltgesundheitsorganisation als förderungswürdig betrachteten Ethnomedizin-Arten auf der Welt, welche meistens von Schamanen ausgeübt werden, auf einen Nenner gebracht werden darf.

Die Chinesische Medizin entstammt der ostasiatischen Kultur, welche sich in Jahrtausenden vor allem in China als dem Land "der Mitte" entwickelt hat. Sie basiert daher auf ganz anderen erkenntnistheoretischen Grundlagen als unsere westliche, naturwissenschaftlich geprägte Medizin mit ihren cartesianischen, kausalanalytischen Denken. Die TCM gründet sich auf ein induktivsynthetisches ganzheitliches Denken, welches den energetischen Gesetzmässigkeiten des Organismus angemessen ist.

Zusammen mit der Informations-Medizin in Form der Homöopathie bildet daher die TCM mit der Wissenschaftsmedizin ("Schulmedizin") und der Homöopathie eine echte Ganzheitsmedizin (holistisches Denken), welche allen Aspekten der menschlichen Existenz und ihrer Integrität gerecht wird, indem sie deren somatische, psychische und geistige Faktoren erfassen und deren pathologische Entgleisungen behandeln kann.

Die Chinesische Medizin ist vor allem auch an vorbeugenden Massnahmen interessiert. Der Altarzt galt nur als gut, wenn er den Ausbruch einer Krankheit verhindern konnte. Allerdings war der Patient verpflichtet, den angeordneten Vorschriften zu folgen. Zu diesen Vorschriften gehören heute noch körperliche Übungen wie Tai Qi und Qi Gong, sowie individuelle diätetische Anweisungen.

Grundlage der Therapie ist wie bei uns eine gründliche und individualisierte Diagnostik, welche die Energetik des Organismus anhand von überlieferten Symbolen und Qualitäten berücksichtigt: die polaren Gegensätze von Yin und Yang (struktive und aktive Elemente), die Energie Qi (nicht physikalische im westlichen Sinne gemeint), das Xue als Energie der Körpersäfte und die verschiedenen Subsysteme der Energie, welche als fünf Wandlungsphasen HOLZ, FEUER, ERDE, METALL und WASSER beschrieben werden. Die Ener-gien fliessen im Kanalsystem der Leitbahnen des Akupunktursystems und können an den Steuerungspunkten durch Nadelung oder andere Stimulationen geleitet, deblockiert, harmonisiert und verteilt werden. Der Zu-stand der Gesundheit mit physiologischer Verteilung wird Orthopathie genannt, krankhafte Abweichungen nennt man Heteropathie. Endo- und exogene Krankheitsfaktoren können in der Tiefe oder oberflächlich wirken, die Dynamik des Krankheitsprozesses ist bewegt oder träge, die Energiemenge ist z.T. oder völlig entladen, oder sie kann übermässig angefüllt sein.

Die Therapie besteht hauptsächlich in der Verabreichung von Arzneimitteln, welche alle aus der Natur stammen, nämlich aus dem Mineral-, dem Pflanzen- und dem Tierreich. Es gibt Hunderte von Arzneien. Sie werden nach den genannten Prinzipien energetisch klassifiziert und in ganz individueller Zusammensetzung dem Kranken verabreicht, und zwar in Form von Dekokten, Pulvern, Pillen oder Granulaten. Die meisten Arzneimittel sind jetzt auch in Europa erhältlich und können nicht ohne Weiteres mit Kräutern aus unseren Gegenden ersetzt werden. Ein unsachgemäs-ser Umgang mit den Arzneien kann gefährlich sein und zu Vergiftungen führen. Mit Hilfe eines umfassenden Wissens betreffend die jahrhundertealten Erfahrungen in China können aber ungeahnte heilende Effekte erzielt werden; auch bei Krankheiten, die in der westlichen Medizin als unheilbar gelten. Ein kleiner Anteil (jedoch bei uns am häufigsten angewendet) der Chinesischen Medizin besteht in der Nadelung der Steuerungspunkte, AKUPUNKTUR genannt, und in der Erwärmung oder Moxibustion der Punktoberfläche mit brennendem Beifuss (Artemisia)-Heu.

Im Westen beliebte Arten der Akupunktur sind die Ohrakupunktur oder Aurikulomedizin und andere Stimulationstechniken von Reflexzonen wie die Schädel-, Nasen-, Hand- und Fuss-Akupunktur.

Zusammenfassend kann die TCM als eine der besten komplementärmedizinischen Heilmethoden angesehen werden, deren Indikationen fast die ganze Palette der Pathologie umfassen und deren therapeutischen Methoden sehr breit eingesetzt werden können, zumindest additiv. Auf dem Gebiet der funktionellen Erkrankungen dürfte die TCM der heutigen wissenschaftlichen Medizin sogar überlegen sein.
     

     

Schmerzbehandlung mit Akupunktur in der Praxis
             

Die Akupunktur gehört als etablierte Methode in der Schmerztherapie bereits zum vielseitigen Behandlungsarsenal. Wo ihr leider hauptsächlich die chronisch-therapieresistenten Schmerzsyndrome zugeführt werden, denn die akuten Schmerzen reagieren viel besser auf Akupunktur. Aus der Zeitschrift "Pain", welche regelmässig Beiträge über Akupunktur bringt, sind folgende Angaben über chronische Schmerzzustände, besonders des Bewegungsapparates, zu entnehmen: Die Behandlung chronischer Schmerzen verursacht in den USA Kosten von über 40 Milliarden Dollar pro Jahr!

Der Akupunkturwirkung werden zwei Hauptfaktoren zugeschrieben; ein neuromodulatorischer und ein psychophysiologischer, welcher hauptsächlich die Schmerzperzeption betrifft. Die Akupunktur wird als echte Alternative zur Steroidinjektion empfohlen, und ihre Anwendung bringe 20% mehr Erfolg als die durchschnittliche Placebowirkung.

Die komplexe neurobiologische Problematik der Schmerzempfindung erschwert zwar eine naturwissenschaftliche Definierung der Akupunkturwirkung, diese kann jedoch anhand der Normkonventionen der chinesischen Medizin befriedigend erklärt werden. Nach Voll (1) ist der Schmerz gleichsam ein Hungerschrei des Gewebes nach fliessender Energie. Wissenschaftlich ist für die analgetische Wirkung der Akupunktur gesichert, dass die 3 Gruppen von Neurotransmittern und Modulatoren der Schmerzleitung eine Rolle spielen, nämlich die biogenen Amine (Katecholamine, Acetylcholin, Serotonin), sowie die Aminosäuren wie PABA, und die Neuropeptide wie Enkephaline, Endorphine und Dynorphin. Bewiesen ist vor allem die Rolle des Metenkephalins.

Der biochemische Einfluss der Akupunktur im Sinne einer Verstärkung oder Hemmung mit unterschiedlichem Effekt im Gehirn und Rückenmark beweist, dass die Wirkung der Akupunkturanalgesie nicht durch eine neurochemische Substanz zustande kommt, sondern dass mehrere Systeme aktiviert werden, im Sinne eines perfekten Reglersystems.

Der Schmerz kann so als Resultat einer Blockade des Energie- oder Informationsflusses, einer Störung der normalen Verteilung, Aktion und Funktion des Qi (="Energie" oder Synergie und Kohärenz biologischer Systeme) (2) betrachtet werden. Die energetische Pathophysiologie der chinesischen Medizin kann als einzige die Genese eines Schmerzsyndroms als Defizienz oder Redundanz des Qi in bestimmten Funk-tionskreisen darstellen, die induzierenden Agentien bestimmen und das entsprechende individuelle Konzept zur Wiederherstellung der psychophysiologischen Integration ableiten (3,4). Der chronische Schmerzpa-tient stellt ein spezifisches, schwieriges Problem in der Medizin dar. Für die Diagnose und Therapie sind besonders folgende Faktoren zu beachten: die Konstitution, die psychosoziale Reaktionslage eventueller Primärerkrankungen und die oft invalidisierende Chronifizierung, die den Patienten zum Koryphäen-Killer stempelt.

So gibt es die "pain prone"-Persönlichkeit, welche für die Lokalisation und den Zeitpunkt der Schmerzerkrankung disponiert und besonders anfällig ist. Für die Akupunktur bedeutet dies, dass die Konstitution über die Typenlehre nach Schmidt (5) zu behandeln ist: die psychische Reaktionslage vor allem über die Sondermeridiane nach Van Nghi (3) (oder Sinaerteriae paracaridinales), die Primärerkrankung je nach der Topographie entsprechend der Klassik nach Porkert (4) über die Cardinales oder Hauptmeridiane, die Carinales impares oder ausserordentlichen Meridiane, die Sinertariae nervocardinales oder tendinomuskulären Meridiane, und die Sinarteriae reticulares oder LO-Gefässe. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die optimale Wirkung über die Sondermeridiane bei intermittierend auftretenden Schmerzen in einem bestimmten Meridianbereich, welche durch äussere oder innere Faktoren bedingt sein können d.h. durch exogene bioklimatische oder endogene psychoaffek-tive Einflüsse. Die Sondermeridiane oder Abzweigungen der Hauptmeridiane beginnen im Bereich der grossen Gelenke, fliessen zur energetischen Loge der Organe als Verstärkung ihrer Abwehrlage oder orthopathie, und münden im Bereich des Kopfes in die Yang-Meridiane. Bei einer heteropathischen Belastung durch äussere Faktoren lässt sich aus der Lokalisation der Schmerzen und aufgrund des Schmerzcharakters darauf schliessen, welcher Orbis (Funktionskreis) betroffen und welche pathogene Energie eingedrungen ist. Bei einer Erkrankung durch innere Faktoren (Affekte) entsteht eine energetische Blockade im zugehörigen Sondermeridian und Orbis, welcher der jeweiligen Emotion entspricht, gemäss dem Gesetz der 5 Wandlungphasen, gleichzeitig aber auch im Bereich des Herzens. Daraus resultiert eine Leere-Sympto-matik (Inanitas) im Bereich des Kopfes.

Die Therapie im Fall von äusseren Faktoren besteht in der Nadelung der kontralateralen Endpunkte (Jing) des betroffenen Meridians und seines Yin-Yang Partners; zusätzlich werden die homolateralen Shu-Punkte (Formina inductoria) derselben Meridiane behandelt. Bei Befall eines Sondermeridianes durch innere Faktoren muss zuerst der Xi-Punkt (For.rimicum) des Herzens (He 6) und Ma 36 genadelt werden, dann die Xi- und Ausgangspunkte der betroffenen Meridiane und Sondermeridiane und ihrer gekoppelten Meridiane, ausserdem der Vereinigungspunkt des Sondermeridianpaares im Kopfbereich. Wie komplex ist die chinesische energetische Medizin?

Die Chronifizierung bedeutet eine langwierige Behandlung von mehreren Serien à 10 Sitzungen im Wochenabstand oder zweimal wöchentlich, wie es im modernen China üblich ist. Ausserdem soll der Patient neben der passiven Therapie mit Akupunktur und Moxibustion und ev. Phytotherapie und/oder Homöopathie und anderen zusätzlichen passiven Therapien wie Laser-Akupunktur, Aurikulotherapie, Elektrostimulation, Neuraltherapie, Meridianmassagen und Elektro-Aku-punktur nach Voll auch zur aktiven eigenverantwortlichen Selbsthilfe und zur Reduktion inadequater Ansprüche angehalten werden. Oft liegt eine Abwehrhaltung gegen das Bewusstmachen eines zugrundliegenden mit Angst und Depression besetzten Konfliktes vor, welche nur ein psychologisches Gespräch abbauen kann. Unterschieden werden muss auch von Schmerzen bei lebensverkürzenden Erkrankungen, welche relativ gut zu behandeln sind, im Gegensatz zu beginnenden chronischen Schmerzen mit Suchtpotential in der Anamnese.

Der Meinung des englischen Psychiaters Trick (6): "Die weitverbreitete Haltung, organische von psychischen Krankheitsursachen zu trennen, erschwert lediglich die Behandlung von chronischen Schmerzen und hilft weder dem Patienten noch dem Arzt weiter", kommt die Akupunktur als ganzheitliche psychosomatische Behandlungsmethoden sehr entgegen. Ausserdem ist sie fähig, das psychopathologische Schmerzspiel in der Transaktionsanalyse positiv zu beienflussen und folgende Haltungen im Rollenspiel zu entschärfen: Die Haltung des berufsmässigen Invaliden oder professionellen Kranken, der für seine Rolle entlöhnt wird; die Haltung des Diktators, welcher durch Schmerzen erpresst; die Haltung des Märtyrers, welcher andere durch Schuldgefühle gefügig macht; die Haltung des Drückebergers und die Haltung des Entmachters des Arztes, welcher nach anfänglich guter Wirkung nach jeder Therapie einen schweren Rückfall macht (oder nicht mehr zur Behandlung kommt, weil es ihm gegen seinen Willen besser geht!).

Die Akupunktur hilft, solche Interaktionen bewusst zu machen und die Befindlichkeit im Körper (die narzistische Besetzung) neu zu erleben und zu optimieren. Unter Berücksichtigung der biographisch bedingten Genese der Krankheit kann diese Therapie im ultrafeinen energetischen Bereich unserer Existenz zum Erlernen neuer heilender und kreativer Verhaltensweisen benützt werden.

Das chronische Schmerzsyndrom, welches eine Erkrankung der gesamten menschlichen Person darstellt, wird in der Praxis auch durch energetische und lymphogene Fernwirkungen (sog. Fokalherde), sowie durch sekundäre Begleiterscheinungen neurovegetativer Art bestimmt (vegetative Syndrome). Diese Wechselwirkungen können ebenfalls über die Korrelationen der Wandlungsphasen der Akupunktur therapiert werden.

Behandlungsprinzipien: zunächst sollte die Wiederherstellung des energetischen Gleichgewichtes angestrebt werden. Unter Berücksichtigung der 8 Leitkriterien (Ying/Yang, Innen/Aussen, Leere/Fülle, Kälte/Hitze) werden endo- und exogene Agentien bestimmt. Von den exogenen spielen vor allem Wind und Kälte (Ventus und Algor) eine Rolle, von den endogenen Zorn und Kummer (ira und Sollicitudo). ausserdem muss der hauptsächlich betroffene Funktionskreis (Orbis) definiert werden. Oft handelt es sich um Mischformen. die generelle Behandlung richtet sich nach diesen Gesetzen und nach den diagnostischen Verfahren, besonders der Pulsdiagnose. Die spezifische Behandlung setzt spezielle Punkte ein (Meisterpunkte oder Reunionspunkte, nach Porkert: Formina conventoria), sowie allgemeine Schmerzpunkte wie Di 4, P 6, Ma 44. Die Kombination von Körper-, Schädel- und Ohrakupunktur hat sich empirisch als sehr nützlich erwiesen. Zusätzlich werden energetische Beziehungen berücksichtigt z.B. die Relation Niere-Ohr (Beispiel: neuralgieforme Ohrenschmerzen geheilt, nach Entfernung eines Clavus am Punkt Ni 1), die Relation Lunge-Schulter (z.B. Schulterschmerzen bei Lungen-Carcinom), die Beziehungen zwischen Ellbogen und Dünndarm/Dickdarm (z.B. Epicondylitis bei Morbus Crohn, Colitis oder Colon irritabile), die Beziehungen zwischen Milz/Pankreas-Niere-Leber(z.B. Ulcus cruris am Vereinigungspunkt der 3 Meridiane bei Colitis ulcerosa), die Vereinigungszonen der Yang-Meridiane am Kopf (z.B. Horton-Neuralgie bei Dickdarm-Carcinom).

Es können vor allem folgende Schmerzformen therapiert werden: Alle Schmerzen des Bewegungsapparates aus dem orthopädisch-rheumatischen Formenkreis, z.B. die generalisierte Tendomyopathie; Cephalea und Migräne, Neuralgien, posttraumatische und postoperative Schmerzen.

Eine Statistik zeigt, dass von 115 Patienten mit therapieresistenten Schmerzen des Bewegungsapparates durch die alleinige Nadel-Akupunktur mit Moxibustion eine signifikante Besserung bei über 57% erreicht werden konnte.

Unter Einbezug der obenerwähnten Sonderformen der Akupunktur stieg der Erfolg um weitere 20-30%. Dieser Erfolg entspricht den statistischen Angaben auch China und auch jenen von Prof. Herget (Giessen). Im Deutschen Aerzteblatt vom 15.2.85 erwähnte Dr.med. Jan Baum: "dass im Konzept der Schmerztherapie die Akupunktur kein exotisches Therapieverfahren mit eigenständigem philosophischem Überbau ist, sondern eine alternative Methode zur Aktivierung physiologischer Schmerzkontrollmechanismen. Eine Vielzahl neurophysiologischer Untersuchungen rechtfertigt diese Einschätzungen. Für dieses risikoarme Verfahren der symptomatischen Schmerztherapie lässt sich ein medizinisch und medicolegal akzeptabler Indikationsbereich klar abgrenzen. Für diesen sollte die Akupunktur im Rahmen der Schmerzbehandlung als alternatives Verfahren zur peripheren Stimulationsanalgesie mit allen entsprechenden Konsequenzen anerkannt werden".
    

    

Literatur
    
    
1) R.Voll, Kopfherde, ML-Verlag
2) Groupe Ecosystèmes, Université de Paris
3) Van Nghi Nguen, Médecine Traditionelle Chinoise
4) M.Porkert, C.H.Hempen, Systematische Akupunktur
5) H.Schmidt, Akupunktur Therapie, Hippokrates Verlag
6) Trick, Hexagon Roche
7) J.Gleditsch, Reflexzonen und Somatotopien, WBV

   


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